Buchstabe: kleinster sinntragender graphischer Bestandteil eines in Alphabetschrift geschriebenen Wortes; gibt stets ein Phonem wieder, d.h. einen Laut (wie A und B) oder eine Lautverbindung (wie X, im Deutschen auch Q und Z, bisweilen C); die Lautung kann bei Allophonen je nach Umgebung auch wechseln (im Dt. bei der ~nverbindung CH). Letzteres Beispiel zeigt, daß – aus historischen Gründen – auch konventionelle ~verbindungen zur Wiedergabe eines einzelnen Lautes eingesetzt werden können, nämlich dann, wenn das Alphabet aus einer Region übernommen wurde, deren Sprache bestimmte Phoneme der eigenen Sprache nicht enthielt. (Die Alternative dazu bildet die Schaffung neuer Buchstaben oder die Erfindung neuer Alphabete, etwa des kyrillischen oder armenischen).
     Die Reihenfolge der ~n im Alphabet war schon bei ihrer Erfindung durch ugaritische Phönizier des 13. Jh. v.d.Ztr. festgelegt; sie wurde von allen übernehmenden Völkern weitgehend beibehalten. (Nur die Etrusker zerlegten das Alphabet in zwei Reihen, deren zweite mit den ~n L-M-N begann und dann zur ersten wurde.) Die Besonderheit der ~n und damit die Originalität der phönizischen Erfindung bestand darin, jedes semantische Element aus der Niederschrift von Worten zu tilgen (das in allen anderen Schriften mit Ausnahme der meisten Silbenschriften noch fortwirkt oder sogar, wie in der chinesischen Schrift, noch sehr aktiv ist) und das phonetische auf seinen kleinsten unteilbaren oder als unteilbar empfundenen Bestandteil zu reduzieren. Dadurch erwies sich die Schrift mit ~n als äußerst praktisch; sie wurde sicher nicht zufällig gerade von einem Handelsvolk erfunden, das an der Schnittstelle zweier alter Hochkulturen mit unterschiedlichen Schriftsystemen siedelte und dadurch zum steten Vergleich angeregt war – nicht nur der Schriftsysteme, sondern vor allem der Waren, Gewichte und vielleicht Sprachen – und dadurch zur Reduktion auf das Wesentliche vorbereitet war.
     Die Form der ~n wird von dem gängigen Schreibgerät beeinflußt; nie ist die Strichstärke Bedeutungsträger. Der Lautwert der ~n entspricht im allgemeinen dem des ersten Lautes des phönizischen (=nord-westsemitischen) Wortes, das mit dem zugrundeliegenden Zeichen verbunden ist; »Aleph« (Rind) hat den Lautwert »harter Vokaleinsatz vor hellem Vokal«, sekundär »A« (und bildet in seiner Grundform schematisiert einen Rinderkopf ab), »Beith« (Haus) zeigt den entsprechenden Grundriß eines Hauses usw. Näheres s. Literatur.
     Die Etymologie des Wortes ~ ist umstritten. Möglicherweise ist die Grundbedeutung tatsächlich »Stab aus Buchenholz«; dieser war mit ~n beschriftet (solche vierkantigen Stäbe mit Runeninschriften haben sich z.B. im Städt. Museum Bergen erhalten), und das Wort bekam seine spätere, zugleich heutige Bedeutung auf dem Wege der Metonymie.

Literatur: Harald Haarmann, Universalgeschichte der Schrift (Campus), Frankfurt/New York 1991


 
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