Kirche: 1) Nach dem Muster eines Beamten- oder Militärapparats (stabil und hierarchisch) organisierte Religionsgemeinschaft, i.e.S. (in Europa seit dem Hochmittelalter) nur deren aktiv kultfähiger personeller Apparat. Oft wird der Begriff ~ noch enger gefaßt, indem er nur den verbindlich mit Verwaltungsaufgaben befaßten Teil dieses Apparats bezeichnet (»Weltgeistlichkeit«); die Gesamtheit des personellen Apparats heißt dann Klerus (= Welt- und Ordensgeistlichkeit).
     Die Kirche als religiöse Organisationsform ist für das Christentum charakteristisch (nur wenige christl. Sekten wie z.B. die Quäker weichen von ihr ab, aber keineswegs, wie oft fälschlich behauptet, alle); nur die Fraktion des klassischen Calvinismus lehnt sie kategorisch ab, weshalb sie ihre – architektonisch unauffällig westkirchlicher Konvention entsprechenden – Kultgebäude z.B. in Frankreich »temple« und nicht »église« benennt. Umgekehrt ist die Kirche keine exklusiv christliche Erscheinung; große Teile des Buddhismus (Lamaismus, singhalesischer Hinayana-Buddhismus) sind nach demselben Muster organisiert (»Gelbe Kirche«, nach der Farbe der Mönchskutten). Auch die altägyptische Priesterschaft, besonders die um Theben (=Wese) zentrierte, kam einer ~ schon sehr nahe und lieferte sehr wahrscheinlich das sich durchsetzende Organisationsmodell des Christentums (dessen ideologisches Zentrum ja auch anfänglich und noch lange danach in Alexandria lag). Das ursprünglich die ~ im hier besprochenen Sinne bezeichnende gr. Wort gr. heilige Herrschaft (»heilige Herrschaft«) diente jedenfalls zunächst hauptsächlich zur Bezeichnung ihres ägyptischen Vorläufer-Analogons.
     Die Organisation aller anderen Religionen, bes. Juden, Hindus und Moslems, steht dem »hierarchischen«, d.h. bürokratisch-militärischen Modell deutlich ferner; den kleinsten und jüngsten darunter wird dies in neuester Zeit von christlichen Apologeten oder deren Weiterverbreitern in polemischer Weise vorgeworfen – dieser Vorwurf bildet anscheinend sogar einen integrierten Bestandteil der rezenten Propaganda. –

2) Die neben der organisatorischen unverändert fortbestehende ursprüngliche Bedeutung des Wortes ~ bezeichnet auch das christliche Kultgebäude (gr. gr. Herren, Herren- [erg. »eigentum«]; diese etymologische Grundlage wird in vielen europäischen Sprachen verwendet, konkurriert aber, besonders in den romanischen Sprachen, mit dem aufgrund der geogr. Herkunft des Christentums ebenfalls griech. Wort gr. rel. Mitgliederversammlung, welches die religiöse Mitgliederversammlung bezeichnet, genauso wie zuvor die demokratische Volksversammlung griechischer Stadtstaaten [wörtl. »Ausrufung«]). In diesem Sinne ist das Wort »~« also eine Metonymie: »Versammlung« (das hebräische Äquivalent קהל kahal, das antik stets mit gr. rel. Mitgliederversammlung übersetzt wird, bedeutet »Heeresversammlung«, von da aus auch »Staatsvolk«) bezeichnet in unserem Zusammenhang schließlich den Versammlungsraum, und da eine religiöse Versammlung gemeint ist, das Kultgebäude. Dies wird die zweite, allgemein geläufige Bedeutung des Wortes ~.
     ~n sind meist erkennbar am Kirchturm, der in erster Linie oder ausschließlich der Aufhängung einer oder mehrerer Glocken dient (daher auch Glockenturm, Campanile u.ä. genannt), welche die Anhänger der Religionsgemeinschaft zu Kulthandlungen zusammenrufen oder bewegen sollen. Er entspricht damit dem baugeschichtlich verwandten Minarett islamischer Kultgebäude, das sich in einem historischen Dissimilationsprozeß – hin zu schlankerer und spitzerer Gestalt – von diesem fortentwickelt hat (am kirchturmähnlichsten, nämlich mit rechteckigem oder annähernd rechteckigem Grundriß versehen, sind die Minarette im westlichen und mittleren Nordafrika; umgekehrt können auch Kirchtürme einen runden Grundriß aufweisen, sind aber dann gedrungener als die üblichen Minarette). Der Kirchturm kann frei stehen oder in das Gebäude integriert sein; er kann auch durch einen Dachreiter oder, vor allem in der Languedoc und Kantabrien, durch eine Glockenwand ersetzt sein, die ihrerseits freistehend oder integriert (meist in die Fassade) ausfallen kann.
     Kirchturm wie Minarett repräsentieren ursprünglich, sobald die dazugehörigen Religionen Privilegien erlangt haben, totalitäre Ansprüche: sie sollen sämtliche Einwohner der zugehörigen Orte oder Ortsteile zur Teilnahme an Kulthandlungen und zur Anerkennung des jeweiligen religiösen Hegemonieanspruchs nötigen. (Kapellen und Privatmoscheen stellen nur ergänzende Miniaturen dieses Modells dar.) Dies geht daraus hervor, daß die betreffenden Religionsorganisationen andere Religionsgemeinschaften, die sie gerade noch tolerierten, insbesondere die Juden, an der Verwendung ähnlicher Architekturelemente mit Nachdruck hinderten, solange sie die Macht dazu besaßen.
     Die ~n der westlichen Hälfte des ursprünglichen Ausdehnungsbereichs des Christentums weisen meistens einen rechteckigen Grundriß auf; sie sind aus der spätantiken kommunalen Mehrzweckhalle (»Basilika«, wörtlich »Kaisergebäude«, d.h. Staatsgebäude) hervorgegangen. Im östlichen Bereich ist der Zentralbau häufiger, der sich durch einen kreisförmigen oder annähernd kreisförmigen Grundriß auszeichnet (ähnliches gilt auch ursprünglich für den nordischen Bereich, die Stabkirchen), der aber auch dort aus praktischen Gründen selten rein verwirklicht ist. Da die Kulthandlungen durch Priester, von denen fast immer ein einzelner als Leiter des Gesamtablaufs zu erkennen sein soll, an einem Altar durchgeführt werden, muß dessen Aufstellung Bühnencharakter haben, wozu der Mittelpunkt eines Kreises schlecht geeignet ist. Da umgekehrt die Suggestivwirkung eines Zentralbaus gerne genutzt wird (Imitation des scheinbaren »Himmelsgewölbes«), ergaben sich vielfältige architektonische Kompromisse, z.B. Beibehaltung des dem Quadrat angenäherten Zentralraums, aber Betonung einer Seite (v.a. im kaukasischen Bereich), asymmetrische Durchdringung eines länglichen Rechtecks durch ein kleineres zweites, wobei über der Schnittfläche beider (»Vierung«), welche die Kultbühne aufnimmt, eine Kuppel errichtet werden kann (eine im Abendland häufige Lösung, die »Kreuzkuppel«~, deren Beliebtheit sekundär durch die Kreuzform gefestigt wurde, freilich auch die Baukosten in die Höhe trieb und daher auf größere ~n beschränkt blieb). Während die Nutzung der beiden solcherart entstehenden »Kreuzarme« immer problematisch blieb – häufig wurden sie Seiteneingänge, eigneten sich aufgrund ihrer Größe jedoch schlecht als Sonderkulträume, z.B. Kapellen –, ließ sich der »Kopf« des auf diese Weise entstandenen »Kreuzes« dagegen gut zur Unterbringung von Sängern oder gerade am Kultgeschehen unbeteiligten Geistlichen verwenden (»Chor«). Deren Unterbringung diente ursprünglich oder alternativ auch ein halbkreisförmiger, aus der antiken Profanarchitektur (bes. Repräsentationsräume von Villen) übernommener halbkreisförmiger Abschluß, die Apsis. Sie konnte – in Analogie zu den stets paarigen Aufbewahrungsräumen von Kultgegenständen älterer östlicher, bes. kaukasischer ~n neben dem Altar – durch zwei symmetrische Nebenapsiden ergänzt werden, wodurch das Gesamtgebäude oft wieder von der Kreuzform abrückte und T-Form (»Tau-Form«) erhielt. Dieses Schema wurde vielfältig variiert und erweitert (z.B. durch Brechung der Apsis in meist gleichgroße gerade Wände, den 5/8-Schluß, 7/12-Schluß u.v.a.; diese konnten in sehr großen ~n wiederum einen »Kapellenkranz«, also spezialisierte Kultabteile mit rechteckigem Grundriß, aufnehmen, usw.).
     Der eigentliche Kultraum, der den Altar enthält und zu welchem der Zugang normalerweise der Priesterschaft vorbehalten blieb – in der Ostkirche auch heute noch nur Männern! –, wurde durch unterschiedliche Vorrichtungen von dem eigentlichen Versammlungsraum abgetrennt, zunächst durch die – oft reich verzierten und aus teurem Material bestehenden – »Chorschranken«, danach in der Ostkirche durch eine regelrechte Wand mit höchstens zwei Türen (»Ikonostase«, wörtl. »Bildergestell«), in der Westkirche durch einen stärker durchbrochenen Aufbau, der eine Sängertribüne enthalten konnte, den »Lettner« (von »lectorium«, also etwa »Vorleseplatz«; seine Tribüne diente somit ursprünglich der Verlesung »heiliger« Texte, nicht unbedingt der »Predigt«, d.h. freien Ansprache der Kleriker an die »Laien«). Diese komplizierte Innenarchitektur wiesen naturgemäß nur größere Kirchen auf; sie fehlte aber zunächst niemals bei Klosterkirchen, die nicht-klerikalem Publikum zugänglich waren. Im Rahmen der Gegenreformation wurde, um dem Protestantismus den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Klerus/Volk-Trennung verringert; darum haben sich verhältnismäßig wenige Lettner erhalten, während die Ikonostasen (und ihre äthiopischen Analoga) heute noch in sämtlichen »orthodoxen« Kirchen obligatorisch sind.
     Der eigentliche, der Kultbühne (Altar, Vierung, auch der Ikonostase, dem Lettner usw.) vorgeschaltete Versammlungsraum wird in den länglich-rechteckigen (also den meisten abendländischen) ~n »Schiff« genannt, da das gewöhnlich darüberliegende sichtbare und steile Gebälk des Daches, dessen First sich mit einem Kiel vergleichen läßt, an den Laderaum eines umgedrehten Schiffes erinnert. Wird der Mittelteil des länglichen Versammlungs- bzw. Durchgangsraumes (nämlich zum Altar) durch Säulen oder Pfeiler abgestützt, so daß an seinen Längsseiten weitere Durchgangsräume (oft ebenfalls auf Altäre hinorientiert) entstehen, werden diese »Seitenschiffe« genannt. Weitere Stützenreihen können zusätzliche, weiter nach außen verlagerte Seitenschiffe ergeben. Nur wenn das »Mittelschiff« sowohl deutlich höher als diese liegt und der über die Seitenschiffe erhöhte Teil Fenster oder wenigstens Lichtöffnungen aufweist, spricht man von einer »Basilika«, soweit eine ~ gemeint ist (und keine antike Mehrzweckhalle). Verwirrung stiftet, daß der römische (nicht der alexandrinische) Papst einer ~ auch die Bezeichnung »Basilika« als bloßen, sogar zweifach gestuften Ehrentitel verleihen kann. – Sind alle Schiffe von gleicher Höhe (wie häufig in Ostdeutschland und Polen), liegt eine Saalkirche vor.
     Der Raum zwischen zwei Stützen (runden »Säulen« oder rechteckigen »Pfeilern«) in Laufrichtung wird Joch genannt, da er ursprünglich oft von einem etwa halbkreisförmigen Bogen (der an ein Joch auf Rindern erinnert) in der Höhe abgeschlossen wurde; spätestens mit der Gotik wurde diese Form durch schwierigere Zierformen unkenntlich, der Name jedoch beibehalten. Schließlich kann jede ~ noch architektonisch wenig integrierte Nebenräume zur Kostümprobe von Kultpersonal und der Aufbewahrung der unterschiedlichsten Dinge enthalten, die »Sakristei«; manchmal verfügt sie über eine integrierte Vorhalle vor dem eigentlichen Versammlungsraum, den Narthex, manchmal auch »Paradies« genannt, der bisweilen der Diskriminierung bestimmter Gemeindemitglieder diente, die von der eigentlichen Kultversammlung ausgeschlossen blieben; er konnte zeitweise auch als Asylstätte fungieren.
     Weitere, nicht obligatorische Bestandteile, Sonderformen und Ornamente von ~n s. unter den jeweiligen Stichworten.

Lit. zur Architektur: Heinrich Dittmar, Der Kampf der Kathedralen, Econ-Verlag, Düsseldorf, Wien 1964 



 
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