Klassenbewußtsein: Die Fähigkeit des Arbeiters (= Proletariers sensu Marx), in staatsbürgerlichen, insbesondere juristischen, Kategorien zu denken und diese unter dem Aspekt optimaler und stabiler gesellschaftlicher Regelungen mit seiner eigenen gesellschaftlichen Lage in Verbindung zu bringen.
     Nur in diesem von Marx und Engels entwickelten Sinn (Klasse) ist das Wort präzise; es hat nichts mit einem »Standesbewußtsein« zu tun, das sich als bloß psychologisches Phänomen (statt als Niederschlag rationaler Reflexion möglichst objektiver Beobachtungen), etwa in irgendeinem Dünkel, Dialektbesonderheiten (z.B. dem Weglassen anlautender »h«s bei englischen Arbeitern) oder Meidung des Umgangs mit Angehörigen anderer Klassen pittoresk äußern würde. Auch hat das Wort in der spätesten marxistischen Literatur (nach Lenins, spätestens nach Trotzkis Tod) eine mystische Färbung angenommen (die Arbeiter seien als eine Art auserwählte Klasse im Besitz unvorstellbarer, aber kaum definierbarer wundersamer Erkenntnismöglichkeiten), die seinem rational-analytischen Gebrauch im Wege steht und daher zugunsten der Originalbedeutung ausgeschlossen werden sollte.
     Obwohl die eigene gesellschaftliche Lage von den Angehörigen aller Klassen mit individuell unterschiedlicher Klarheit – von nüchtern und präzise bis überhaupt nicht – wahrgenommen wird, so ist diese Wahrnehmung doch naturgemäß bei von Besitz und Macht ausgeschlossenen Klassen am schwächsten entwickelt, erstens, weil sie die Folgen eigener Machtausübung nicht kennen, da diese nicht eintreten können, zweitens, weil diejenigen, welche die Verbreitung von Informationen und Parolen steuern können, diese Möglichkeit dazu nutzen werden, das Aufkommen entsprechend zielgerichteter Reflexionen in der besitzlosen, aber für die Produktion benötigten Klasse zu behindern, teils durch Ablenkung auf individuelle Empfindungen (Sexualität, persönliche Befindlichkeiten, »panem et circenses«), teils durch Verbreitung zwar allgemeiner, aber von der Klassenlage getrennter Kategorien (der Wille Gottes, die Interessen der Nation, der Mensch im Kosmos, lauter sehr heterogene, aber stets klassenlose Dinge). Als Gegenkraft gegen diese meist erfolgreichen Bestrebungen kann sich, historisch eher selten, eine politische eigene und Gegen-Organisation in der besitzlosen Klasse bilden, die ihre Wortführer freilich meist aus in der Wahrnehmung übergeordneter Zusammenhänge geübtere Klassen »importieren« muß; diese Organisation hat außer dem letztlichen Ziel der Machtübernahme durch die ihrer Ausübung entwöhnte Mehrheit zuvörderst den Zweck und das Ziel, innerhalb dieser in die Gegenrichtung gedrängten Mehrheit Inseln des ~s zu errichten, zu festigen und auszudehnen.

 
Literatur: Lenin, Was tun?

 


 
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