Sexualität: (von lat. sexus »Geschlecht, Geschlechts­zugehörigkeit«): Gesamtheit aller Vorgänge, Aktionen und Empfindungen, die zur Bildung von Zygoten führen können.

Die erdrückende Mehrzahl aller Lebewesen vermehrt sich, sobald die Umstände das erlauben, durch Mitose, also Zellteilung ohne den Wechsel haploider und diploider Stadien; dadurch bleibt ihr Genom unverändert, wenn kein Kopierfehler (eine »Mutation«) eintritt. (Die asexuell entstandenen Individuen sind also Klone.) Das bedeutet, daß jedes Gen, das ihren Aufbau als (Zell-) Individuum bewirkt hat, stets in der gleichen Umgebung aus anderen Genen bleibt (solange kein Kopierfehler ein Gen derselben zufällig verändert oder vervielfacht). Die Folge ist, daß die Eigenschaften aller Individuen, in deren Genom sich jenes Gen befindet, gleich sind und daher dessen Überleben in einer veränderten (oder angrenzenden anderen) Umwelt gleich wahrscheinlich oder unwahrscheinlich machen; befänden sie sich jedoch in unterschiedlichen Umgebungen, so wäre ihr Fortbestand bei Umweltveränderung (auch durch Vordringen in andere Umwelten) unterschiedlich wahrscheinlich, d. h. häufig in einem Teil der den Genomen entsprechenden Individuen größer als in den anderen Teilen ihrer Gesamtmenge. Offensichtlich deshalb haben sich schon sehr früh – vielleicht vor drei Milliarden Jahren – Mechanismen herausgebildet, durch die ein Genom sich Teile eines anderen aneignen bzw. gegen eigene vertauschen kann, z. B. die »Konjugation« der Pantoffeltierchen und vieler weiterer Einzeller; aus einem dieser Mechanismen ist dann die ~ hervorgegangen, welche die Durchmischung der Genome einer Art, praktisch allerdings hauptsächlich  nur ihrer Populationen, mit der Gesamtheit aller vorhandenen Allele am vollkommensten leistet. Die ~ dürfte somit vor mindestens einer Milliarde Jahren entstanden sein, spätestens zusammen mit den Vielzellern, da alle Vielzeller sich sexuell fortpflanzen oder von vielzelligen Vorfahren abstammen, die sich sexuell fortgepflanzt haben (Fortpflanzung durch Autokloning ist also bei allen Vielzellern eine Apomorphie, ~ eine Plesiomorphie.) Diese Neuerung dürfte den Aufstieg der Vielzeller – d. h. die überproportionale Steigerung ihres Anteils der Biomasse unseres Planeten über den des Restes aller Lebewesen – entscheidend gefördert haben. Einzellige Lebewesen, ob prokaryot oder eukaryot, welche den entsprechenden Mechanismus entweder nicht besitzen oder nur einen weniger leistungsfähigen, gleichen den entsprechenden Konkurrenznachteil durch ihre ungeheure Zahl aus, welche den Eintritt der »benötigten« Mutationen wahrscheinlicher macht.
      Die Sexualtheorie von Hoevels besagt, daß der Vorteil der sexuellen Fortpflanzung darin besteht, daß sie die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß zwei Mutationen zusammenkommen, die jede für sich selektionsneutral oder sogar leicht schädlich sind, aber kombiniert einen Selektionsvorteil bewirken.
      Wenn diese Theorie stimmt, muß jener Vorteil aufgrund des erheblichen Aufwandes, den die sexuelle Fortpflanzung gegenüber dem Klonen mit sich bringt, erst recht erheblich sein (weswegen viele Taxa, z. B. alle kleistogamen Blütenpflanzen, die ~ wieder verlieren, wenn dieser Aufwand den durchschnittlichen Nutzen i. S. der Reproduktionswahrscheinlichkeit überschreitet); ist sie falsch, müßte die ~ einen anderen Vorteil bei der Kopierwahrscheinlichkeit der Gene bieten, den aber bisher noch niemand klar benannt hat.
      Übernimmt kein äußeres Medium den Transport der leichteren Geschlechtszellen zu ihren ebenfalls haploiden schwereren Gegenstücken (wie das Wasser in der sexuellen Generation der frühen Gefäßpflanzen, z. B. Farne und Moose, oder Wind oder Insekten bei allen Blütenpflanzen, die nicht zur Autogamie »zurückgekehrt« sind), dann ist eine Aktivität der Träger der Geschlechtszellen vonnöten, welche zur Paarung ihrer Träger und damit zur Vereinigung der leichten mit den schweren Geschlechtszellen führt, wodurch zwei haploide Chromosomensätze wie zu einem diploïden zusammengefügt werden. Die von diesem neuen diploiden Satz gesteuerte Zelle, die Zygote, stellt unter dessen Einfluß in bestimmter Weise Kopien ihrer selbst (und damit auch ihres folglich in jeder Körperzelle gleichen Genoms) her, bei allen Gewebetieren auch in hin und wieder, durch unterschiedliche Aktivierung oder Deaktivierung der dennoch immer gleichen Gene abgewandelter Form, welche funktionale Differenzierung ermöglicht, bis das Individuum als Ergebnis dieses Prozesses auftaucht (oder »fertig« ist). Dessen Entstehung (»Ontogenese«) ist also kein sexueller Prozeß, sondern nur derjenige, der die Entstehung der Zygote bewirkt hat.
      Die Konkurrenz der Geschlechtszellen auf dem Wege zueinander (d. h. zu anderen Geschlechtszellen mit strukturgleichem, doch aus oft genug aus anderen Allelen zusammengesetztem Genom) hat bewirkt, daß die Zwischenformen zwischen leichten (und daher tendenziell beweglicheren) und schweren Geschlechtszellen verschwanden. Denn »konsequent« schwere oder leichte Geschlechtszellen können die mit ihrem Gewicht und Umfang verbundenen Vorteile optimal ausbauen, »inkonsequente« haben gewissermaßen die Nachteile von Gemischtwarenläden zwischen spezialisierten Geschäften auf beengtem Raum zu tragen. Werden diese Geschlechtszellen nicht durch äußere Agentien, sondern durch die Aktivität von Tierkörpern zusammengebracht, dann beeinflussen sie (bzw. die mit ihnen verbundenen Selektionsmechanismen) sogar deren Form und Aufbau, indem sie sie zu sexuellen Spezialisten machen, d. h. zum Transport der leichten oder der Beherbergung der schweren haploiden Zellen besonders geeignet, aber nicht mehr beider, so daß die für die jeweilige Alternative geeigneten Anlagen während der Individualentwicklung an ihrer Entfaltung gehindert werden. Das Ergebnis ist der »Geschlechtsdimorphismus« oder wenigstens die sexuelle Spezialisierung; er bzw. sie ist folglich bei beweglichen Lebewesen, deren Aktivitäten die Zygotenbildung bewirken, die Regel, während bei Lebewesen, die diesen Transport nicht durch Eigenaktivität bewirken, von den Anlagen zur Produktion und »Präsentation« leichter wie schwerer Geschlechtszellen häufig offenbar  keine während der Ontogenese unterdrückt werden »muß«, d. h. ihre Unterdrückung keinen Selektionsvorteil abwürfe (so bei der Mehrheit der Blütenpflanzen). Die Produktion zweier übergangslos in »kleine« und »große« geschiedene haploider, also Geschlechtszellen, bleibt jedoch unverändert; die Konvention ist, die leichten (und deren Träger) »männlich«, die schweren (und deren Träger) »weiblich« und die Produzenten beider Sorten »Zwitter« oder »zwittrig« zu nennen.
      Um die aktive mechanische Vereinigung der Geschlechtszellen zweier verschiedengeschlechtlicher oder, wie z. B. bei den Weinbergschnecken, zwittriger Tiere herbeizuführen, müssen diese durch neuronale Aktivierungsmuster dazu gedrängt werden, wobei die Aktivierbarkeit dieser Muster ihrerseits häufig an Körperzustände gekoppelt ist, welche ihrerseits durch Beschaffenheiten der Außenwelt hervorgerufen oder begünstigt werden (Sättigung durch ausreichend vorhandene Nahrung, bestimmte Temperaturen, Tageszeitlängen, Beregnung, Luftfeuchtigkeit usw.); ebenso liegt immer eine Kopplung mit – selektionell optimalen – Entwicklungsstadien vor. Bei neuronal höher entwickelten, den Keim zur Subjektwerdung in sich tragenden oder schon als Subjekte auffaßbaren Lebewesen äußert sich dieser Drang als Lust, entweder in Reaktion auf arteigene Auslöser oder in einer erhöhten Bereitschaft, diese aufzusuchen. Dadurch gewinnt die ~ eine subjektive Seite.
      Da diese sich immer als spezifisch Lust (oder im Störungs- bzw. Frustrationsfall Unlust) äußert, welche in enger Verbindung mit bestimmten Körperzonen steht (die sich je nach Art gemäß der Stelle im arteigenen Paarungsablauf verschieben können), hat Freud, welcher ja die Funde Tinbergens noch nicht kennen konnte, allen mit lokalem Lustgewinn verbundenen körperlichen Empfindungen sexuellen Charakter zugeschrieben (und eine ausführliche Klassifikation unternommen). So wenig dieses Konzept biologisch haltbar ist, so treffend gibt es die subjektiv-soziale Gemeinsamkeit dieser Empfindungen im Gegensatz zu allen anderen wieder, denn sowohl das (menschliche) Subjekt empfindet sie einerseits alle als ähnlich, andererseits reagieren die es umgebenden sonstigen Subjekte auf deren Äußerungen mit einer typischen Feindseligkeit, die sie mindestens subjektiv von anderen Arten der Feindseligkeit deutlich unterscheidet. (Aufgrund der innerartlichen Sexualkonkurrenz sind ~ und Feindseligkeit bei den meisten  neuronal hochentwickelten Lebewesen verlötet und bei vielen anderen als aktive Paarungsstörung ebenfalls zu beobachten, z. B. bei etlichen Insekten.) Insoweit ist Freuds abgeleiteter ~sbegriff bei der Untersuchung subjektiver Prozesse und deren sozialer Folgen brauchbar und angebracht, im biologischen Sinne jedoch irreführend.


 
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