Wille: Der bewußte Drang, eine für günstiger als die bestehende gehaltene Lage anzustreben bzw. einer als unangenehm oder unvorteilhaft erscheinenden zu entkommen. (Als neue Lage kann auch der Besitz eines zuvor nicht verfügbaren Objekts gelten.) –
     Die Existenz eines ~ns setzt den Besitz eines sehr entwickelten neuronalen Apparates und innerhalb desselben angelegte präfabrizierte (artspezifische) Bewertungsmuster (angenehm/unangenehm) voraus; seine Variabilität in gegebenen gleichen Situationen biologisch gleicher Individuen ist durch deren verschiedene »Lerngeschichten« bedingt und setzt daher zusätzlich neuronale Speicherungskapazität voraus (die aber auf dem Entwicklungsstand der für die Bewußtseinsfähigkeit nötigen neuronalen Ausstattung in jedem Fall gegeben sein dürfte). Einen Gegensatz zum Willen bildet der Reflex, der Tropismus usw., da dieser keine bewußte Entscheidung in Appetenz/Aversions-Konflikten enthält, als deren Äußerung dagegen der ~ erkennbar wird. Dementsprechend können Einzeller, neuronal dürftig ausgestattete Lebewesen und erst recht Steine, Sterne, Atome oder gar subatomare Teilchen keinen ~n haben, obwohl er ihnen aus ideologisch-suggestiven Gründen unsinnigerweise manchmal unterstellt wird. Auf welcher Stufe der Neuroevolution wir mit dem Auftreten eines Willens tatsächlich zu rechnen haben, ist dagegen derzeit noch schwer zu entscheiden. Unter »Willensfreiheit« läßt sich nur die Fähigkeit zu bewußter Entscheidung in einem Appetenz/Aversions-Konflikt verstehen (oder den davon abgeleiteten Appetenz/Appetenz- bzw. Aversions/Aversions-Konflikten); sie fällt mit dem juristischen Terminus der »Zurechnungsfähigkeit« zusammen. Daß die Gesellschaft mit ihr rechnet, geht aus der ubiquitären Institution der Strafe hervor; diese versucht durch Verwandlung einer Appetenz in einen Appetenz/Aversions-Konflikt den ~n zu beeinflussen. Folgerichtig wird ihre Androhung in den entwickelteren Gesellschaften meist zurückgenommen, wenn beim Täter eine Ausschaltung der Willensfreiheit (insbesondere durch Degeneration oder toxische Beeinträchtigung seines neuronalen Apparates mindestens zum Tatzeitpunkt) anzunehmen ist bzw. war. (Der zunächst unsinnig erscheinende Ausfall dieser Kautel in manchen primitiven Gesellschaften erklärt sich vor allem durch deren Bestehen auf der Generalprävention; deshalb »strafen« sie auch bisweilen Steine, Wasserläufe, Bilder, Insekten usw.).
     Nun haben neuronenlose Gegenstände (oder einzelne Neuronen usw.) keinen ~n und daher weder einen freien noch einen unfreien; ihn ausgerechnet Elementarteilchen bzw. deren Reaktionen zuzuschreiben, meist unter Berufung auf die rein technische Schwierigkeiten widerspiegelnde »Heisenberg'sche Unschärferelation«, kann nur grob ideologisch motiviert sein (insbesondere als Entlastungsangriff zugunsten eines persönlichen und daher mit ~ ausgestatteten Gottes, dessen Betätigungsfeld oder Verkörperungen sich zunächst auf subatomare Vorgänge beschränken und von dort aus wundersamerweise die komplexeren Organisationsebenen der Materie zurückerobern sollen, darunter sogar echte ~nsvorgänge in wirklichen Lebewesen, welche freilich durch subatomare Vorgänge gar nicht oder nur äußerst unspezifisch-destruktiv, z.B. durch Verglühen der Subjekte in der Hiroshimabombe, beeinflußt werden können. Als Spottbezeichnung dieser Ideologie hat sich das Wort »Quantentheologie« eingebürgert).
     Ebenfalls ideologisch motiviert ist das Postulat eines von seinen biologischen Grundlagen (Appetenz und Aversion) gelösten ~ns, der erst nach dieser Lösung als »frei« i.S. von »nicht mehr determiniert« gelten dürfe; denn ihm würde das Motiv und damit, weil er ein subjektives Phänomen ist, die Existenzmöglichkeit fehlen. Dagegen ist es sehr erheblich, ob eine bewußte Kalkulationsmöglichkeit zwischen einer Menge angebotener Aversions- sowie Appetenzziele besteht oder nicht; im ersten Fall können wir von »Willensfreiheit« sprechen und tun es normalerweise auch, da es nur in diesem sinnvoll und möglich ist, im zweiten aber nicht.
     Auch wenn die bewußte Wahrnehmungsverarbeitung als Kriterium des Subjekts gelten kann, so kann dieses aus biologischen Gründen niemals ohne gleichzeitige Entwicklung eines ~ns entstehen, da nur dessen Einsatzmöglichkeit das Motiv zu deren Nutzung abgibt; andernfalls würden Reflexe auf nicht verarbeitete Wahrnehmungen (ohne Bewußtsein) genügen (wie sicherlich bei vielen Protozoen und wohl den meisten oder allen »Würmern«). Darum kann der ~ durchaus als Kriterium für das Vorliegen eines Subjekts genommen werden, gehört wenigstens faktisch zu den konstituierenden Subjekteigenschaften.


 
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