Hypergynie: (von gr. ὑπέρ »über« und γυνή »Frau«: also etwa »Überfrauung«): das einseitige Überwechseln von jungen Frauen aus Jäger/Sammler-Gesellschaften in ackerbautreibende, wo immer diese aufeinanderstoßen.
Wenn in historischer Zeit das Zusammentreffen ackerbauender mit wildbeuterischen Gesellschaften systematisch beobachtet werden konnte, was an den unterschiedlichsten Plätzen der Fall war, wurde ausnahmslos das Phänomen der ~ festgestellt (wobei der Wechsel freiwillig oder unfreiwillig erfolgen konnte, im Extremfall einfach in der Ausrottung der Wildbeuterhorden durch Ackerbauern bestand, welche die jungen und gesunden Frauen jedoch überleben ließen und in ihre Gesellschaft übernahmen, insbesondere als Nebenfrauen). Daher ist mit seiner Existenz auch in paläolithischer Zeit zu rechnen, umso mehr, als analoge Phänomene von J. Goodall auch als Resultate kriegerischer Auseinandersetzungen von Schimpansenhorden festgestellt worden sind.
     Die ~ ist deshalb von Interesse, weil sie eine Erklärung für die Widersprüche zwischen den zwecks Rekonstruktion der europäischen Vorgeschichte gewonnenen Daten L. Cavalli-Sforzas und B. Sykes anbietet. Erstere wurden aus der Analyse nuklearer DNA gewonnen, letztere von mitochondrialer (also nur in ♀ Linie vererbbarer). Berücksichtigen wir das mit größter Wahrscheinlichkeit die längste Zeit des Kontakts bestehende Phänomen der ~, ist leicht zu verstehen, warum Cavalli-Sforza die Mehrheit unserer (d.h. der Europäer) Vorfahren in kleinasiatischen Einwanderern (in 5 Wellen) bzw. ackerbautreibenden Eindringlingen sieht, Sykes jedoch nur für etwa ein Fünftel unserer Vorfahren, im Rest der Europäer jedoch die Nachkommen autochthoner Wildbeuter sieht. Setzt man ~ als Folge des erzwungenen Kontakts voraus, dann verzerrt Sykes´ Verfahren mit großer Wahrscheinlichkeit das Ergebnis zugunsten mütterlicher Linien, die in die Masse der Einwanderer im Gegensatz zu väterlichen in großer Zahl und verhältnismäßig zufällig eingedrungen sein müssen. Eine Übernahme ackerbauender Techniken durch die Ureinwohner läßt sich zwar nicht ausschließen, aber auch nicht wahrscheinlich machen; ebensogut kann ihre Mehrheit getötet worden oder in Nischen zurückgedrängt ohne nennenswerte überlebende Nachkommenschaft ausgestorben worden sein.


Literatur: M. Zvelebil, The Social Context of Agricultural Transition in Europe In: Renfrew, C. and Boyle, K. (eds): Archaeogenetics. DNA and the population of prehistoric Europe, Cambridge 2000, p. 57-79


 
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